Hörbare Architekturmodelle bestehen aus Audio-Aufnahmen, die zunächst vor Ort aufgenommen werden und dann im Sinne des Entwurfes klanglich bearbeitet, collagiert und neu abgemischt werden. So werden Räume hörbar gemacht die bislang nicht existierten.
Die folgende kommentierte Auswahl der Studienergebnisse aus drei Seminaren soll die Vorzüge und Herausforderungen der hörbaren Modelle erläutern. Die Modelle sind am besten über geschlossene Kopfhörer zu hören.
Ida Lautanala: „Every Door is an Opportunity“
Ida Lautanala fügt einzelne Aufnahmen von Raumübergängen - also Türen - und Raumatmosphären, die sie täglich auf ihrem Weg zur Uni passiert, neu zusammen. So folgen wir der Autorin in diesem Hörstück auf einer scheinbar surrealen Reise durch ihren Uni-Alltag.
Eine U-Bahntür öffnet sich feierlich unter dem Pfeifen der Hydraulik und muss dann doch noch umständlich von Hand aufgeschlossen werden. Der Gegenstand der Raumtrennung verwandelt sich in eine hölzerne Wohnungstür und führt den Hörer in einen Gang, der zunächst dumpf und privat erschient. Doch übergangslos wandelt sich die Situation und die eigenen Schritte hallen einsam von einer gefliesten anonymen Unterführung zurück. Durch eine unscheinbare, stählerne Nebentür gelangen wir zu erwünschten Sehnsuchtsorten - wie hier für einen kurzen Moment ans Meer …
Die Autorin lässt starke und deutlich verschiedene Räumlichkeiten aufeinander folgen. Darin zeigt sich der große Vorteil von Klang als Entwurfsmittel: Aus wenigen vorgefunden Elementen wird schnell und einfach ein Raumkonzept skizziert. Mit sehr einfachen Mitteln - hier mittels Schneiden von Tonaufnahmen - ist es möglich, Raumfolgen zu inszenieren und erfahrbar zu machen. Indem wir hier der Protagonistin folgen, erleben wir außerdem WIE sie durch die Räume schreitet. Mit der Art des Laufens - mal selbstbewusst mal vorsichtig vor einer Tür verharrend - erzählt das Stück davon, wie der Charakter des Übergangs - als Hemmnis, Schwelle oder Schleuse - des Erleben des nachfolgenden Raumes beeinflusst.
Die Arbeit ist der hörbare Entwurf einer Raumskizze und stellt keine exakte raumakustische Konstruktion dar. Vielmehr wird eine stark überzeichnete Raumfolge erzeugt, in der sehr unterschiedliche Klangwelten mit strikter akustischer Trennung nacheinander gesetzt werden. Für einen „natürlichen“ Raumeindruck müssten sich die Hörumgebungen durch die Raumtrennung hindurch mehr miteinander verschmelzen. Dieses hörbare Modell folgt dabei einem klaren und zugleich visuellen Konzept der Raumtrennung. Es spielt mit den Bildern, die im Kopf des Hörers entstehen.
Von Bedeutung sind dabei die sehr detailreichen Klangaufnahmen, mit denen die Autorin arbeitet. Diese sind mit einem empfindlichen Richtmikrofon aufgenommen und bieten für dieses Hörmodell ein reichhaltiges und vor allem fein nuanciertes Rohmaterial. Der Klang ist - wenn er an unser Ohr dringt - quasi vollgesogen mit Informationen über den Ort. Dadurch entsteht sofort eine sehr eindrückliche Vorstellung von den Qualitäten der collagierten Orte. Diese bleiben nicht abstrakt, sondern der Hörer fühlt sich als Teil einer räumlichen Situation - wir erhalten ein Gefühl für den sozialen und auch zeitlichen Kontext des Raumes. Die einzelnen Raumstationen vermitteln nicht nur ein konkretes Verständnis für den Charakter des Ortes, seine Materialität und Proportionen, sondern auch für das Programm, also die Aktivitäten des Ortes.
Madine Delhommeau: „Melodie der Überquerung“
Madine Delhommeau beschäftigt sich ebenfalls mit einem Raumübergang, dieser ist in diesem Fall aber ein Portrait der Stille. Thematisiert werden hier Momente der Ereignislosigkeit und architektonischer Leere. Das Stück bringt ein Gebäude im stand-by-Modus zum hören. Es fokussiert auf die Grundstimmung des Raumes, seine häufig schwer in Worte zu fassenden Gestimmtheit, die unter anderem geprägt ist durch technische Anlagen wie Neonlichter oder Motoren von Türenanlagen. Einzelne Ereignisse tauchen auf, aber der Räum fällt immer wieder zurück in seine eigene spezifische Stille zurück.
Wir haben unsere Studierenden losgeschickt, um den Ort ihrer Untersuchung zunächst zu portraitieren. Üblicherweise würde man in der Architektur den Begriff der Kartierung verwenden. Ein Portrait geht aber noch darüber hinaus, da es so etwas wie einen Dialog zwischen dem zu portraitierenden Ort und dem dem Autor selbst darstellt, dessen unmittelbare Anwesenheit ein wesentlicher Aspekt für die Raumerfahrung ist.
Das soeben gehörte Portrait ist selbst eine Komposition, die nicht nur eine Momentaufnahme wiedergibt, sondern eine von der Autorin erlebte „Gesamtstimmung“ des Ortes vermittelt. Es handelt sich um eine schmale verglaste Brücke als Verbindungssteg zwischen zwei Gebäudeteilen der TU Berlin. Das Portrait besteht aus den charakteristischen Klängen des Überganges, die über eine bestimmte Zeit hinweg auftauchen. Ähnlich der Skalierung einer Karte kann sich die Klangerfahrung auch über einen ganzen Tag, einen Monat oder Jahr erstrecken, welche hier auf ein zeitlich kurzes, hörbares Format verdichtet wird. Es gibt also in dem Hörmodell eine Form der Maßstäblichkeit, oder besser: Maßzeitlichkeit.
In diesem Ortsportrait ist auch die Autorin selbst zu hören. Man hört, wie sie mit dem Finger über Glasflächen fährt und Stahlseile anzupft. In diesem Moment könnte das Portrait in seiner Bedeutung kippen: wird es nun zum Musikstück? Wie soll man diesen Beitrag hören? Hierzu drei Vorschläge:
1. Das Hörmodell nimmt Bezug darauf, dass gebauter Raum immer auch als ein Instrument betrachtet werden kann, das zu jeder Zeit von seinen Nutzern in Stimmung gesetzt und zum Tönen angeregt wird. Die Autorin macht deutlich, dass sie einen Ort vorfindet, der ein ausgefallenes musikalisches Eigenleben führt und gleichzeitig ein Instrumentarium bietet, das dazu einlädt, mit einzustimmen.
2. Glasscheiben und Stahlseile werden für den Hörer als charakteristische Bauteile dieses Ortes eingeführt. Auf diese Weise erzählt das Hörstück ganz direkt von den Materialität der Brücke. Technisch gesehen ist das eine Audifikation, also die Hörbarmachung der verbauten Materialien. Dabei geht sie aber nicht systematisch vor, indem sie etwa wie mit einem Stethoskop alle Bauteile „abhört“, sondern geht selektiv vor.
3. Gleichzeitig erzählt sie durch ihr Agieren auch von der Stimmung dieses Überganges, der eine Atmosphäre der Langeweile versprüht. In dieser Stimmung der Ereignislosigkeit üben die Bauteile in ihrer Beschaffenheit das starke Verlangen aus, mit der Hand über sie zu streiche und zum Klingen zum bringen.
Madine Delhommeau: „Der Transfer-Netzknoten“
Das Thema der Ereignislosigkeit nimmt Madine Delhommeau auch in ihrem zweiten Hörmodell auf: es ist der Entwurf einer Weiterentwicklung der Brücke zu einem „Transfer Netzknoten“.
Wie man diesem Modell sehr gut hören kann, hat sich der klare lineare Charakter des Überganges zugunsten einer komplexeren Architektur erweitert. In den Gang sind neue Türen eingesetzt worden uns es docken sich mehrere Treppen unterschiedlicher Materialität und Geschwindigkeiten an. Wie der Titel versprich, ist nun ein sowohl horizontaler, als auch vertikaler Verkehrsknoten zu hören. Man kann aus dem Gang ins Freie treten, und sogar das Dach erklimmen. Vorsichtig gesetzte Schritte, die im Innern widerhallen deuten an, dass der Gang eine hölzerne Decke erhalten hat. Wir hören also tatsächlich das Skizzenmodell eines räumlichen Entwurfs, der das Gefühl dafür vermittelt drin zu sein.
Wird diese Architektur aus dem Klang heraus entwickelt, führt der Prozess auf eine ganz andere, nämlich eine auf eine musikalische, vielleicht auch oder performative Spur von Architektur. In diesem Fall bestimmt die heterogene Materialität den grundsätzlichen Charakter des „Netzknotens“. Wie wir hören, bleibt es nicht allein bei der im Portrait betonten und technisch anmutenden Stahl-Glas Ästhetik, sondern es kommen eine Vielzahl von Materialien zur Sprache, die danach ausgesucht werden, wie sie im Verhältnis zum Gesamtcharakter klingen.
In diesem Sinne hat das Modell auch einen Klang-Baugeschichlichen Bezug: In die vorgefundene Stahl-Glas-Architektur wird die gediegene Klangpatina von Holzstiegen und quietschenden Türen eingeflochten; dadurch scheint das Gebäude zeitlich zu altern. Mit dem einfachen Mittel der Klangcollage trifft das Modell also Aussagen zu Typologie und Materialität und Atmosphäre, und könnte nun im nächsten Schritt mit den klassischen Instrumenten von Modell und Schnittskizze weiterentwickelt werden.
Weitere Modelle folgen in Kürze ...