Einzigartiger Dreiklang
Wie sehr der spezifische Klang eines Bauwerkes die Identität einer Landschaft verändern und prägen kann, können Bewohner und Besucher Dresdens seit der Eröffnung der Waldschlösschenbrücke Ende August dieses Jahres hören. Dichter Stadtverkehr rollt auf 600 Metern Länge über die weiteste Stelle der Elbwiesen und treibt eine breite Klangschneise durch das Tal.
Dabei war es der „einzigartige Dreiklang aus Fluss, Landschaft und Architektur“, der die UNESCO im Jahr 2004 - vor dem Bau der Brücke - dazu bewog, das Dresdner Elbtal in den Rang eines Weltkulturerbes zu erheben. Lässt dieses Zitat aus dem Dresdner Aufnahmeantrag vermuten, dass es in dem Tal etwas zu hören gab, das schützenswert gewesen wäre?
Das Elbtal genoss seinen kurzen Schutz durch die UNESCO als „Fortbestehende Kulturlandschaft“, also als eines sich „stetig entwickelnden (groß-)städtischen Lebensraumes“.[1] Der Klang als mutmaßlich stets die Gegenwart reflektierendes Gut, war nicht Gegenstand der Betrachtung. Seit spätbarocker Zeit wird die natürlich vorhandene Landschaft gezielt hinsichtlich der Blickbeziehungen zwischen Stadt und landschaftlicher Schönheit architektonisch inszeniert und landschaftsplanerisch geformt.[2] Auch beim hoch emotional geführten „Dresdner Brückenstreit“ waren es rein visuelle Aspekte, die gegen eine Be- und Überbauung der Elbwiesen angeführt wurden. Die von der UNESCO beauftragte Gutachterstudie der RWTH Aachen sollte explizit den visual impact der geplanten Waldschlösschenbrücke auf die Landschaft bestimmen. Anhand berühmter Postkartenblicke wurde gezeigt, dass der „außergewöhnliche universelle Wert“ des Elbtals vermindert würde. Die Entscheidung für den Bau der Brücke führte somit zur Aberkennung des Welterbetitels im Jahr 2009.
Was aber hätte eine aural impact-Stude über die Veränderung des Tales aufdecken können?
Geschütze Klänge
Schon zu der Zeit als das Tal durch die UNESCO geschützt und ohne die Waldschlösschenbrücke zu erleben war, querten andere Brücken in näherer Umgebung an weniger breiten Stellen die Elbe und prägten nachdrücklich den Klang des Tales im Jahr 2007.
Man kann sich das Elbtal als eine große moderne Klangkomposition vorstellen. Bewegt man sich durch sie hindurch, werden dabei einzigartige Bezüge zum Charakter seiner Landschaft und seiner Geschichte erlebbar.
Der spezifische Klang der Carolabrücke beispielsweise ist ein gleichmäßig und weich zischendes Geräusch des über sie hinwegziehenden Verkehrs. Die Stahlbetonhohlkonstruktion von 1971 wirkt dabei selbst als schwingender Klangkörper. Ampelanlagen zu beiden Seiten der Brückenköpfe sorgen für ein ruhiges An -und Abebben des Schallvolumens.
Eine Aufnahme des Nordufers dokumentiert aus 200 Metern Entfernung die Steinbogenkonstruktion der Albertbrücke. Sie ertönt als feinperliges Surren, das auf das Kopfsteinpflaster des Straßenbelags zurückzuführen ist. Überraschende Klang-Modulationen entstehen, wenn Autos zum Überholen auf den in Asphalt gefassten Mittelstreifen wechseln. Gleichzeitig ist das feine Plätschern kleiner Wellen an der Graskante zu hören, welches nur ein unbefestigtes Ufer erzeugen kann. Dieser für eine Großstadt ungewöhnliche Klang ist Moritz Wilhelm Schmidt zu verdanken, der als Bezirkswasserdirektor in den1870er Jahren gegen eine Mehrheit von Fachleuten durchsetzte, auf eine Kanalisierung mithilfe massiver Ufermauern zu verzichten. Über die Wasserklänge legt sich das Rascheln hoher Gräser im Wind und es ertönt das markante, langgezogene Signalhorn der historischen Elbraddampfer - ein Klang-Markenzeichen der Stadt.
Einen berühmten Postkartenblick - den „Waldschlösschenblick“ - konnte man von dem gleichnamigen Steinpavillon an der Bautzener Straße genießen. In dem weiten Panorama über die Elbwiesen ist im Hintergrund die rekonstruierte Silhouette der ehemals Spätbarocken Stadt zu erkennen. Zu Hören ist an diesem Ort - ganz unpassend zum Ausblick - der dichte, auf- und abbremsende Verkehr der viel befahrenen Uferstraße. Die unregelmäßigen Verkehrsgeräusche werden zusätzlich reflektiert von der vier Meter hohen Böschungsmauer auf der gegenüberliegenden Straßenseite und unter dem Dach des Pavillons unangenehm verstärkt. Dadurch lädt der Ort kaum zum Verweilen ein. Dass dieser Blick nun von der neuen Brücke verstellt ist, war ein Hauptargument für den Verlust des Welterbestatus - ebenso war die ungelöste Verkehrssituation der Bautzener Straße einer der Hauptgründe für den Bau der Brücke.
Die als „Blaues Wunder“ bekannte Loschwitzer Brücke ist eine imposante Stahl-Fachwerkkonstruktion des ausgehenden 19. Jahrhunderts und ein Wahrzeichen der Stadt. Die Brücke vibriert vom schweren Verkehr, der über die mitschwingende Stahlkonstruktion rollt. Dazu erzeugen breite Dehnungsfugen ein Rhythmisches Donnern. Die Brücke bietet ein sensationelles und atemberaubendes Klangereignis, was noch gesteigert wird, wenn unter der Brücke einer der großen Raddampfer hindurchstampft. Man ist erinnert an Luigi Russolos futuristisches Manifest von 1914, in dem er das großartige Konzert der zukünftigen Stadt beschwört.
Die markante Klangidentität der Brücke prägt auch die angrenzende Uferzone, welche ein beliebter Ausflugsort ist. Biergärten locken Gäste zu beiden Seiten des Ufers - die Atmosphäre ist geprägt von Familien, die in den Wiesen in direkter Hörweite der Brücke picknicken.
Eine Aufnahme mit nun besonderem historischen Wert stammt vom Südufer in unmittelbarer Nähe der jetzt eröffneten Brücke. Das breite Tal funktioniert hier wie ein Ohr zur Stadt: Nahe und ferne Klänge der umgebenden Stadtteile erzählen von der unerhörten Weite des Flusstales und fließen zusammen mit den feinen Klänge des Wassers, dem Zirpen Grillen im Gras.
[1] Friedrich, Ilse: Weltkulturerbe Elbtal Dresden und die Waldschlösschenbrücke. Vortrag beim George-Bähr-Forum am 13.6.2007, veröffentlicht in "Weltkulturerbe Elbtal Dresden mit Waldschlösschenbrücke - Würde und Bürde", Jahrbuch 2007 des George-Bähr-Forums der TU Dresden, S.171-177.
[2] Gutachten zu den visuellen Auswirkungen des ,Verkehrszuges Waldschlösschenbrücke‘ auf das UNESCO-Weltkulturerbe ,Elbtal Dresden‘ S.11